Müssen Bands sich weiterentwickeln? Ist es wirklich wichtig, spannend und innovativ zu sein, neue Dinge auszuprobieren und mit alten Gewohnheiten abzuschließen? Oder fährt man nicht im Grunde viel besser, wenn man sich bequem einrichtet in seinen vier Wänden, allenfalls hier mal ein Sofa verrückt und dort mal die Wand beige statt weiß streicht? Da weiß man, was man hat – mit dieser Einstellung sind Bands wie Bad Religion oder die Ramones jahrzehntelang mehr als gut gefahren.
Doch trotz aller Bewunderung für die musikalische Kontinuität, die man gerade im Punkrock oft findet: Für die DONOTS war das Festhalten am Status Quo nie eine Option. Nicht, als sie 2008 mit “Coma Chameleon” den Reset-Knopf gedrückt und sich sowohl musikalisch als auch als geschäftlich-organisatorisch neu aufgestellt haben. Und auch nicht 2015, als sie einen der größtmöglichen Schritte gegangen sind, den man als Band machen kann: den Wechsel der Sprache. Denn seit “Karacho” singen die DONOTS deutsch. Und die Frage, wie das wohl ankommt, hat die Band garantiert einige zerkaute Fingernägel gekostet. Wenn man in seiner Muttersprache singt, ist es nun mal deutlich schwerer, sich hinter gut klingenden, aber wenig ausdrückenden Floskeln zu verstecken. Wer besser verstanden wird, muss auch mehr zu sagen haben.
Und das hatten die DONOTS in der Tat. Natürlich war auch schon vorher lange klar, wo die Band politisch steht und wie für sie eine bessere, gerechtere Gesellschaft aussieht. Aber dass das Ganze so explizit ausfällt, war dann doch nicht abzusehen. Denn sind wir doch mal ehrlich: Wer in dieser Popularitätsliga macht denn noch den Mund so weit auf? Welche Musiker, die ihre Alben regelmäßig in den Top Ten platzieren, strecken vor einem Millionen-Fernsehpublikum “so genannten besorgten Bürgern und rechtsradikalen Wichsern” den Mittelfinger entgegen, wie das die DONOTS beim “Bundesvision Song Contest” taten? Wer hisst denn noch bei Konzerten riesige Anti-Nazi-Flaggen und sammelt Spenden für Flüchtlinge? Wer sagt denn sonst mit Songs wie “Dann ohne mich” lautstark und unmissverständlich, was Sache ist? Kein Zweifel: “Karacho” hat die DONOTS aus dem Stand zu einer der lautesten und meistgehörten musikalischen Stimmen gegen rechte Umtriebe gemacht. Doch neben der Message gab es ja auch noch die Musik, und auch die geriet so überzeugend, dass sich die DONOTS über 20 Jahre nach ihrer Gründung auf dem Höhepunkt ihres Schaffens befanden: Ausverkaufte Konzerte, spektakuläre Shows, Fans im Davon-kann-ich-noch-meinen-Enkeln-erzählen-Modus – das muss man erstmal hinkriegen nach einer solch lange Zeit.
Umso spannender natürlich die Frage, wie es nun, drei Jahre später, mit der nächsten DONOTS-Platte weitergehen würde. In welche Richtung würde die Band wohl gehen? Bleiben die Texte so engagiert und durchdacht? Wie geht man das Album nach dem Album an? Welche Einflüsse wird man spüren: Aktuelle? Die aus den Neunzigern? Noch frühere? Gibt es mehr Pop? Mehr Punk? Mehr Rock? Entscheidung Popeidung! Den DONOTS fiel das offenbar schwer, und so lautet ihre Antwort: Wir machen einfach mehr. Mehr von allem. Und vor allem mehr Musik! Die DONOTS nehmen Anlauf und springen in alle Richtungen auf einmal. Und das ohne sich zu zerreißen – was eine wirklich große Kunst ist.
Tatsächlich stellt sich bei den ersten Durchgängen ein Gefühl ein, das man beispielsweise auch bei Faith No Mores “Angel Dust” hatte – die Älteren werden sich erinnern: Wahnsinn, was hier alles passiert! Gemischt mit der bangen Frage: Ist das nicht zu viel? Werde ich dieses Album genauso feiern können wie seinen vergleichsweise leichteren Vorgänger? Um dann, ein paar Durchgänge später eine Ahnung zu bekommen, die sich dann zur Gewissheit und schließlich zu einem fetten Ausrufezeichen mausert: Ja, das geht.
“Lauter als Bomben” ist ein Rundumschlag, der musikalisch so vielfältig ist wie das Line-Up beim 1998er Bizarre-Festival, auf der anderen Seite aber knackig und kompakt gerät wie eine linke Gerade von Rocky Balboa. In den knapp sechzig Jahren seiner Existenz hat der saubere Mr. Rock ja schon die verschiedensten Gefährten aus anderen Szenen in seine ungeputzte Bude eingeladen. Die DONOTS haben dabei sehr gut aufgepasst und machen sich ihren eigenen Reim auf die verschiedenen Spielarten lauter Gitarrenmusik: Vom Stadion, in dem Bands wie die Foo Fighters oder Biffy Clyro regieren, bis zum College, wo Weezer nach der Sitzung des Debattierclubs schnell in den Proberaum neben dem Heizungskeller huschen. Vom Pogopulk, in dem man sich sein Descendents-Shirt zerrupfen lässt, bis zur Hafenkneipe, wo man so lange Kurze kippt, bis der Geist von Joey Ramone einen Shanty anstimmt. Und dann gibt es natürlich immer wieder diese großen, überwältigenden Momente, wo man Fäuste und Stimmbänder in Stellung bringt und mit Euphorie im Blut und leichtem Wahnsinn im Blick einfach nur abgeht, weil eine dieser großen, großen DONOTS-Melodien angestimmt wird, die einen für einen kurzen Augenblick zwei Meter über den Boden bugsieren: Welt ausknipsen und eins werden mit der Musik! Tatsächlich klingt hier kein Song wie der andere, und die Souveränität, mit der die DONOTS das Rockalphabet durchbuchstabieren, ohne den Faden, sprich: ihre eigene, jahrelang gehegte Identität zu verlieren, ist wirklich beeindruckend.
Dass der Horizont der DONOTS weiter als von Pop bis Punk, von Epitaph bis Fat Wreck reicht, war von Anfang an klar. Das konnte man schon vor 20 Jahren merken, wenn man sich mit der Band über Musik unterhielt und auf einmal keine Musiker mehr vor sich stehen hatte, sondern Fans. Richtige, große Fans mit roten Ohren und Begeisterung in der Stimme. Die eine riesige, umfassende und scheuklappenlose Liebe zur Musik in sich trugen und immer noch in sich tragen. Nur mit dem entscheidenden Unterschied, dass sie das heute auch alles spielen können. Mögen die DONOTS sich auch manchmal kokett als “Trümmertruppe” titulieren: Die Wahrheit ist, dass diese Band inzwischen eine der versiertesten Rockmaschinen ist, die durch dieses Land pflügt. Für die jede musikalische Idee, und sei sie auch noch so abwegig, erst einmal keine Hürde, sondern eine Herausforderung darstellt. Und die mit jedem Album ihren Horizont ein Stück weiter nach hinten boxt.
Textlich hingegen macht die Band da weiter, wo sie mit “Karacho” aufgehört hat. Und warum auch nicht? Schließlich hat sich die Welt in den letzten drei Jahren nicht gerade zum Guten entwickelt, und da ist es nur normal, dass die DONOTS darauf reagieren. Genau wie auf “Karacho” gibt es auch auf “Lauter als Bomben” Songs, die sich klar und unmissverständlich gegen Rassisten und Faschos stellen. Gegen Extremisten und Leichtgläubige. Und manchmal eben auch gegen ganz alltägliche Nervensägen und Selbstdarsteller. Die online ihr Ego aufblasen. Denen es gefällt, sich in Fake-Emotionen zu suhlen und diese auszustellen. Die einem eben tierisch auf den Sack gehen. Das kennen wir alle, und da muss man sich einfach mal kurz Luft machen. Schließlich entstammen die DONOTS einer Subkultur, in der der Mittelfinger eine zentrale Rolle hat.
Und doch hat diese Platte neben ihrer berechtigten Anti-Attitüde auch viele Pro-Momente: Für die Freundschaft. Für die Familie. Für die Musik. Politik, Gesellschaft und das große Ganze sind zweifelsohne wichtige Themen, aber manchmal geht es eben auch darum, mit sich selbst klarzukommen. Die ruhigen Momente im Orkan namens Leben finden, der um einen herum tobt. Den Umgang mit seinen Mitmenschen beleuchten. Das eigene Ego hinterfragen. Aber auch mal mit dem besten Freund und zu viel Alk im Kopf gepflegte Scheiße labern und schief die Lieblingssongs mitgröhlen: Das alles passt perfekt zu einer Band, die auf der Bühne erwachsen geworden ist, ohne ihren juvenilen Elan zu verschleißen.
Und zu einer Band, die genau weiß, was sie will: Am liebsten alles selbst machen – oder zumindest so viel Kontrolle wie möglich haben. Das ist in diesem Fall kein kitschiger Mythos aus alten Punkzeiten, den man nur mit Mühe am Leben erhält. Sondern die Voraussetzung, damit die DONOTS überhaupt ein Album wie dieses heraushauen konnten. “Lauter als Bomben” ist im “Heavy Kranich”-Studio entstanden, das sich die Band selbst in Münster aufgebaut hat. Und zwar in einer Art Work-in-Progress: Meist mit einem Riff als Ausgangspunkt, wurde dort etwas probiert und hier etwas ergänzt, bis die Songs so in Form waren, wie sie sein sollten. Songs schreiben und entwickeln, während die “Achtung, Aufnahme”-Lampe brennt – das kann viele Bands ordentlich unter Druck setzen. Die DONOTS hat es beflügelt und ermutigt, auch unkonventionelle Wege zu gehen, um so zu klingen, wie sie wollten: Wenn die Spuren vom Demo schon so dermaßen gut sind, warum dann noch lange weiter dran rumschrauben?
Produziert und aufgenommen wurde “Lauter als Bomben” von Kurt Ebelhäuser (Blackmail), der schon 2008 für den Befreiungsschlag “Coma Chameleon” verantwortlich war, sowie von Robin Völkert, der die DONOTS auch live begleitet und entsprechend gut kennt. Vertraute und Komplizen quasi, die der Band geholfen haben, das einzufangen, was ihr wichtig war: eine frische, unverfälschte, möglichst echte Version dessen, was die DONOTS im Jahr 2018 darstellen. Eine Band, die viel Wert auf Musikalität und Vielseitigkeit legt, aber auch stark vom Drive und ihrer Attitüde lebt.
Nachdem “Karacho” noch als Joint Venture mit ‘Universal’ veröffentlicht wurde, haben die DONOTS sich entschlossen, “Lauter als Bomben” direkt auf ‘Solitary Man’, dem eigenen Label, herauszubringen. Gegründet 2005, um in Japan nicht erhältliche Platten von geschätzten Kollegen wie Placebo, Dropkick Murphys, Beatsteaks oder Toy Dolls herauszubringen, ist man nun in der glücklichen Lage, die Strukturen, die man sich über die Jahre aufgebaut hat, auch für die eigene Band zu nutzen. Das macht zwar mehr Arbeit, gibt aber am Ende das gute Gefühl, selbst entschieden zu haben, welche Wege man nimmt und welche man meidet.
Keine Frage: Die Zeiten, in denen diese Platte erscheint, könnten besser sein. Die Anzahl der Idioten und Irren, die die Parlamente und Regierungssitze bevölkern, auf Rathausvorplätze marschieren und im Stock unter einem wohnen, scheint ständig zu wachsen. Aber zu resignieren und sich stumm damit abzufinden, kann und darf keine Lösung sein. Das wissen die DONOTS und machen das Beste daraus. Mit Herzen, die lauter als Bomben schlagen. Und mit einem Album, das die Messlatte für 2018 verdammt hoch setzt. So gut war diese Band noch nie. Und auch noch nie so nötig.
DONOTS – LAUTER ALS BOMBEN TOUR 2018
präsentiert von: Kein Bock Auf Nazis, VISIONS Magazin, OX Fanzine & livegigs.de.
20.02. DE- Saarbrücken – Garage
21.02. DE – Bremen – Schlachthof
22.02. DE – Hannover – Capitol
23.02. DE – Berlin – Huxleys
24.02. DE – Rostock – MAU Club
06.03. DE – Dresden – Schlachthof
07.03. AT – Wien – WUK
08.03. DE – München – Tonhalle
09.03. DE – Karlsruhe – Substage
10.03. CH – Zürich – Dynamo
20.03. DE – Dortmund – FZW
21.03. DE – Hamburg – Grosse Freiheit
22.03. DE – Köln – Ewerk
23.03. DE – Erlangen – Ewerk
24.03. DE – Wiesbaden – Schlachthof
15.12. DE – Münster – MCC Halle Münsterland
-Uncle M-