Einfach nur wunderschön, das fällt einem als Erstes ein. Greift nur halt zu kurz, was man beim zweiten Hören schon feststellt und sich dann fast fürs Kompliment entschuldigen möchte. Denn was Linda Bender und Chris Schillinger mit ihrem inzwischen dritten Album „Dear Balance” geglückt ist, spiegelt ziemlich exakt dessen Titel wider. Songs wie ein gelungener Gang über den Schwebebalken mit geschlossenen Augen, bei dem nicht die Artistik, sondern eher der Mut, die Chuzpe, das Lässige überraschen. Zunächst zündet man sich eine Kerze an und füllt ein Glas mit Rotwein, doch so ganz allmählich mischen sich dunkle Farben ins Bild, ohne zwar zu dominieren, doch dem unbedachten Konsum der Delikatesse folgt die delikate Notwendigkeit, das Gehörte noch mal zu überdenken.
Klanglich hat sich die Musik des Mainzer Duos mittlerweile zwischen Pop und Folk wohnlich eingenistet, liebt aber Ausflüge in fremde Sphären so sehr, dass ihre Hörer keine Rückenlehne brauchen. Man sitzt nämlich gespannt aufrecht und lauscht, weil im nächsten Moment – man weiß es nicht wirklich, aber es ist schlicht spürbar – Ungeheuerliches geschehen könnte. Und dann kommt da so ein Song wie „Harbour”, beginnt wie ein melancholischer, aber netter Urlaubsspaziergang im Nieselregen nach vorn an die Mole und endet als Requiem auf die Geflohenen, Gestrandeten, Verlorenen unserer Tage. Ergreifender kann Pop in Moll nicht klingen.
Von Verzweiflung und Düsternis aber sind Bender & Schillinger doch noch ein ganzes Stück entfernt, als Ahnung liegen sie nur schwach duftend in der Luft. Auch die Vergleiche früherer Tage werden fragwürdiger. Hatte sich so mancher beim letzten Album „It’s About Time” noch dann und wann an die Eurythmics oder Rufus Wainwright, an Depeche Mode oder Joni Mitchell zumindest ein kleines bisschen erinnert gefühlt, so ist das famose Doppel mittlerweile zum Markenzeichen seiner selbst geworden. Daran trägt wohl zuvorderst der Verzicht auf das Befolgen gut gemeinter, aber schlecht durchdachter Marketingkonzepte Schuld, denn Bender & Schillinger sind nach wie vor ein gänzlich unabhängiges, nur der eigenen Lust am Tun verpflichtetes Duo. Andernfalls hätten wohl Produzenten oder Concepter einem Song wie „Safe Inside” die beinahe vulgären, letztlich aber umwerfenden Basslines ausgetrieben und die herrliche Fragilität von „Goodbye” hymnischem Pathos geopfert. Vielleicht hätte auch bei „Lovelesson” die Gitarre nicht zum Rhythmusinstrument werden und „Transition” sich nicht dem Dancefloor empfehlen dürfen.
„Wir sind mit dem Anspruch an dieses Album gegangen, etwas aufzunehmen, das im Ganzen wie aus einem Guss klingt und das mit sehr viel Liebe zum Detail gestaltet ist und auch sound- und arrangementtechnisch viele Dinge ausprobiert.” Sagte Linda über, genau, das letzte Album. Der hehre Vorsatz wurde bereits damals in die Tat umgesetzt, jetzt allerdings sind Bender & Schillinger noch mindestens einen Schritt weiter gegangen. Eventuell wäre es noch zu früh davon zu reden, dass die Zwei ihr eigenes Genre erschaffen haben. Aber allzu weit weg davon sind sie nicht mehr. Hier läuft gerade und bereits zum dritten Mal an diesem Abend „Harbour”, und wir wiederum laufen bei der Suche nach Vergleichbarem, nach vergleichbar Wunderbarem wieder und wieder ins Leere. Und zwar lächelnd. Oder grinsend? Egal, auf jeden Fall sehr gern.
Quelle: Add On Music